
Im Vorfeld dieser Veranstaltung wurde ich von Catherin
Nibbenhagen angesprochen, ob ich "etwas schreiben" wolle
für die neue Zeitung. Da böte sich doch geradezu das
Seminar von Andreas Ebert an. Spontan sagte ich zu. Im
Zeitung - Machen und im Schreiben bin ich nicht so
unerfahren, deshalb freute ich mich über die neue
Aufgabe.
Mit vielen Notizen und übervollem Kopf und Herzen fuhr
ich von Neustadt zurück, setzte mich gleich an meine
Arbeit. Nach 2 Tagen strukturieren, recherchieren,
schreiben, ändern und wieder ändern wusste ich, ein
Protokoll, ein nüchterner Bericht, eine historische
Abhandlung - ist alles nicht das, was es für mich war.
Das Ergebnis dessen, was es für mich war, lest ihr in
meiner Geschichte.
ABBA, GIB MIR EIN WORT
Die Silhouetten der Großstadt Kairo liegen hinter mir.
Ich betrete die Wüste.
Mein Vorhaben, den Eremiten, den Wüstenvater, in seiner
Höhle aufzusuchen, kommt mir im Moment doch sehr
abenteuerlich vor. Die Wanderung durch die Wüste, so
ganz alleine, ohne vermeintlichen Schutz, betrachte ich
als ordentliche Herausforderung. Ich versuche meine
Gedanken zu ordnen und die Fragen meines Kopfes gleich
zu beantworten. Ich habe vorgesorgt, Wasser bei mir,
trockne Fladen, entsprechende Kleidung. Orientierung
geben mir die Sonne bzw. die Sterne, da kenne ich mich
aus. Den Kompass habe ich selbstverständlich auch dabei.
Das sind meine Stützen, die mir die Wanderung durch die
Wüste ermöglichen.
Also, wovor fürchtest du dich?
Vor der eigenen Fantasie, die Sonne könnte dich
verbrennen? Du könntest dich verlaufen?
Wahrscheinlich ist es der Gedanke an die Einsamkeit, der
mir Furcht einflösst. Ganz alleine mit mir selbst, ganz
alleine mit der kargen Natur. Wie halte ich das aus?
Der Wüstenvater, zu dem ich wandern will, hat sich
freiwillig für ein Leben auf Sparflamme entschieden.
Freiwillig aus der sozialen Gemeinschaft ausgeklinkt,
freiwillig auf seine materiellen Güter verzichtet,
freiwillig entschieden für "All ein(s) sein".
Ich betrete die Wüste und laufe los. Die Sonne, der
Wind, die Ruhe. Ruhe ist nicht geräuschlos. Ich atme die
Wüste, ich rieche die Wüste. Unendliche Weite? Begrenzte
Weite!
Horizont oder Himmel? Sand, Sandkorn. Ein Korn ist
klein, viele Körner sind Sand. Sand rinnt zwischen die
Zehen. Es schmerzt. Sand ist wie ein Teppich. Er ist
weich und bedeckt den Boden. Dieser Teppich hier ist
hügelig. Hügel, Berg, Sanddüne. Kann ich sie erklimmen?
Oben stehen und rufen? Der Rufer in der Wüste. Werde ich
gehört? Von wem? Bekomme ich Antwort? Will ich Antwort
oder habe ich Fragen?
Einsamkeit, Alleinsein, Unendlichkeit, Endlichkeit. Das
Ende - der Anfang. Wo? Überall und immer, nimmer.
Hoffnung -das Licht.
Ich erreiche die Oase. Unter Palmen ruhe ich aus. Das
Wasserbecken, die Quelle als Zentrum der kleinen Oase,
bietet auch den Kamelen der Nomaden Erfrischung. Hier
sind fröhliche Menschen versammelt. Lebendigkeit hält
wieder Einzug.
Noch einmal betrete ich die Wüste und laufe los. Diesmal
in der sternenklaren Nacht.
Ich nähere mich der Höhle meines Wüstenvaters. Mein Herz
klopft aufgeregt. Ich beschließe, vor dem Eingang der
Höhle bis zum nächsten Morgen zu verweilen und rolle
mich zusammen.
Am nächsten Morgen betrete ich die Höhle. Zunächst
umgibt mich nur Dunkelheit. Als meine Augen sich daran
gewöhnen, erkenne ich die Umrisse meines Wüstenvaters.
Er sitzt aufrecht und entspannt, er erwartet mich. Sein
dunkel-blauer Turban sitzt tief auf dem Kopf und lässt
nur einen Sehschlitz für die Augen frei.
Ich schaue in diese unergründlichen Augen und stelle die
Frage, die schon seit 2000 Jahren gestellt wurde: "Abba,
gib mir ein Wort!?"
„ Wenn der Baum nicht von den Winden'“
geschüttelt wird, wächst er nicht und trägt keine
Wurzeln."
So der Mönch: "Wenn er nicht versucht wird und die
Versuchung nicht erträgt, wird er kein Mann."
Ich spüre, wie sich diese Worte in mein Herz graben.
Mein Herz ist es, das mich durch mein Leben führt. Mit
dem Herzen erspüre ich die Menschen meiner Umgebung,
erfasse Situationen und Räume. Hier ist ein guter Platz.
Hier ist ein guter Platz für die Worte des Wüstenvaters,
sie zu bewahren und zu wiegen.
Ich fühle diese Augen auf mir. Wärme steigt in meinen
Körper. "Abba, gib mir ein Wort!" Der Turbanmann
bleibt stumm. Da begreife ich. Natürlich, nur ein Wort.
Und dieses Wort brennt jetzt in meinem Herzen. Mir wird
klar, es ist für mich und für niemanden sonst. Es ist
mir ganz allein.
Langsam entlasse ich die Augen des Turbanmannes in
seinen Sehschlitz. Ich drehe mich um. Ich habe mein
Wort, ich habe meine Heilung, und ich habe die Wüste
durchquert.
Ich verlasse die Höhle und betrete noch einmal die
Wüste, die wüste Wüste. Der Heimweg liegt vor mir. Bevor
ich meine Füße in Gang setze, erhebe ich meine Stimme
und schreie gegen den Wüstensand: "Wenn der Baum
nicht geschüttelt... "
Ich sehe die Worte mit dem Wind verfliegen. Sie werden
die nächste Oase erreichen, wo die Bäume stehen, deren
Kronen geschüttelt werden und deren Wurzeln halten und
stark werden. Ich laufe los. Ich brenne. Die Höhle im
Hintergrund wird kleiner, zuletzt nur noch ein Punkt.
Sie liegt hinter mir.
Jetzt bin ich ganz sanft und stark. Die Wüste erwartet
mich. Die Herausforderung liegt vor mir. Ich nehme sie
an - ich habe den Wind bei mir.
Heike Breunig-Bußmann
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