Folgender Artikel wurde von Heike Breunig-Bußmann zur Verfügung gestellt.


ANWENDUNG ENNEAGRAMMATISCHER SICHTWEISEN IN DER SOZIALEN BERATUNGS-ARBEIT EINES JUGENDAMTES

 
Verschiedene Mitarbeiter des Jugendamtes Harburg sind in unterschiedlichen Bezügen, u. a. bei Fortbildungen des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge, mit den Ideen der Enneagramm- Theorie in Kontakt gekommen. Dieses führte zu einer in-tensiven Auseinandersetzung des gesamten Teams des Sozialen Dienstes und einigen Mitarbeitern aus der Verwaltung innerhalb der Abteilung Jugend und Familie mit diesem Thema.

Grundsätzlich fügte sich die Enneagramm-Theorie gut in die bestehende humanistische Grundhaltung des Teams des Sozialen Dienstes ein. Die Beschäftigung mit seinen Grundideen und -aussagen führte zunächst zu einer intensiven Selbstreflexion. Jedes Teammitglied entwickelte für sich eine Vorstellung davon, welchem Muster es sich zugehörig fühlte. In diesem Prozess veränderte sich das Miteinander und das Selbstverständnis des Teams. Das Wissen um die eigenen Verwicklungs- und Entwicklungstendenzen, der mustertypischen Verzerrungen der Weitsicht und der Abwehrmechanismen ermöglichten eine wohlwollende Sicht auf eigene Stärken und Schwächen und die der Teammitglieder. Konflikte und Unstimmigkeiten untereinander konnten vor diesem Hintergrund wertschätzender und humorvoller aufgelöst werden.

Folgende Fallbeispiele verdeutlichen den veränderten Umgang untereinander:
Der Termin für die Teamsupervision wird verschoben. Alle Kollegen wälzen ihren Terminkalender auf der Suche nach einem passenden Termin. Nachdem ein neuer Termin gefunden wurde, ist es eine Kollegin des Musters Eins, die daran denkt, auch einen Raum für die Veranstaltung zu bestellen.

Beim Kollegiumsausflug wird gepaddelt. Zwei im Paddeln ungeübte Kolleginnen sitzen alleine in einem Boot. Als alle anderen an der Anlegestelle auf sie warten, springt eine Kollegin in voller Bekleidung ins Wasser, um das Boot der beiden an den Steg zu zie-hen. Die Kolleginnen protestieren, möchten nicht "gerettet" werden. Sie wollten alleine anlegen. Als die durchnässte Kollegin aus dem Wasser steigt, empfängt sie eine Kollegin, die sagt" Es ist klar. Du bist eine Zwei". Alle lachen.

Die Bezirksgrenzen müssen neu aufgeteilt werden. Im Team wird diskutiert

"Bevor wir uns jetzt so lange aufhalten, kann mal einer eine Kreiskarte herausholen?" (Muster Eins)

" Was bedeutet das für die Klienten, wenn sie jetzt einen neuen Sozialarbeiter bekommen?" (Muster Zwei)

"Wozu soll das alles gut sein? Erhöht das wirklich die Effektivität unserer Arbeit?" (Muster Drei)

"Ich finde das jetzt sehr schwierig zu entscheiden. Was das noch alles nach sich zieht. Ich denke, wir sollten das nicht in der großen Runde besprechen." (Muster Vier)

"Wir haben uns doch schon mal Gedanken über die Fahrtzeiten gemacht! Das kann man doch im Protokoll vom 15.02.1987 gleich auf der ersten Seite nachlesen." (Muster Fünf)

"Wie lange hat denn das eigentlich Bestand, was wir hier besprechen? Wir machen uns jetzt hier so viel Arbeit und wofür eigentlich? Und eigentlich wissen wir gar nicht, ob eine Lösung zu finden ist, mit der alle zufrieden sind." (Muster Sechs)

"Das wurde ja auch mal Zeit. Manche gehen ja noch in Rente mit ihren Bezirken. Wenn wir schon mal dabei sind, will nicht auch jemand seinen Bezirk tauschen?" (Muster Sieben)

"Wieso beschäftigt sich eigentlich das Team mit so einer Frage? Da kann sich doch mal neben die Chefin hinsetzen mit einer Karte und das mal eben machen. Immer das Gleiche hier, das ist doch Verschwendung von Arbeitszeit." (Muster Acht)

"Neue Bezirksgrenzen? PUH!! Das ist aber wirklich schwierig zu entscheiden. Was gibt es denn damit schon für Erfahrungen?" (Muster Neun)

Die Beschäftigung mit der Enneagramm-Theorie hat auch die Sicht- und Herangehensweise in Beratungsgesprächen in mancher Hinsicht nachhaltig verändert. Diese Veränderungen betreffen sowohl den Beratungsprozess mit der Familie bzw. den betroffenen Personen als auch die Reflexion der Fachkraft in der Praxisanleitung.

Nach bisheriger Erfahrung wird die Enneagramm-Theorie im Beratungsprozess bewusst erst dann angewandt, wenn der Sozialarbeiter das Gefühl hat, dass der Beratungsprozess stagniert.

An zwei Fallbeispielen soll verdeutlicht werden, wie das Wissen um die unterschiedlichen Muster der Ennea-muster und deren Entwicklungsmöglichkeiten den Beratungsprozess beeinflussen.

Eine Mutter wendet sich hilfesuchend an das Jugendamt, weil sie große Probleme mit der Erziehung ihres Sohnes hat. Sie macht die Sache so dringend, dass der Sozialarbeiter noch am gleichen Tag ein Gespräch mit ihr und ihrem Sohn führt.

Bei dem Hausbesuch bemängelt die Mutter das Fehlen jeglichen Einflusses auf den Sohn. Der Sechzehnjährige beteilige sich nicht am Familienleben, ziehe sich zurück und leiste den Aufforderungen der Mutter, im Haushalt zu helfen, keine Folge. Der Junge kann die Vorhaltungen der Mutter nicht verstehen, sieht keine Probleme und möchte nur in Ruhe gelassen werden. Die Mutter macht jedoch unmissverständlich deutlich, dass sie nicht bereit ist, weiterhin mit ihrem Sohn zusammenzuleben. Der Sozialarbeiter versucht durch gemeinsam entwickelte Vereinbarungen und Absprachen zwischen den beiden zu vermitteln. Zwei Tage später ruft die Mutter erneut ein, teilt mit, dass die Vereinbarungen nicht eingehalten wurden und fordert die sofortige Herausnahme ihres Sohnes. Wiederum versucht der Sozialarbeiter im Rahmen einer Krisenintervention zwischen den Beteiligten zu vermitteln. Aus seiner Sicht sind die Gründe nicht so gravierend, dass sie eine Inobhutnahme rechtfertigen würden. Das nächste Mal meldet sich die Mutter am folgenden Wochenende bei der Rufbereitschaft. Der Junge wird von einem anderen Kollegen in Obhut genommen.

Der Fall wird in der Praxisanleitung vorgestellt und analysiert. Hierbei wird deutlich, dass die bisherigen Interventionen der Dynamik der Interaktion zwischen Mutter und Sohn gefolgt sind und sie damit eher verstärkt als unterbrochen haben. Es entstand die Idee, die Problemlage unter Gesichtspunkten der Enneagramm-Theorie zu betrachten. Dem Sozialarbeiter wurde relativ schnell klar, dass er - als Mensch des Musters zwei - dem Appell der Mutter nach schneller Hilfe umgehend gefolgt war. Die Mutter beklagt, dass ihre Bedürfnisse in der Familie überhaupt nicht gesehen werden. Sie hat das Gefühl, als Mutter versagt zu haben. Sie wünscht sich eine enge emotionale Bindung an ihren Sohn. Er möge mit ihr seine Probleme besprechen und sich in das Familienleben eng einbinden. Diese und viele weitere Aspekte, deren Erörterung hier zu weit führen würde, legen die Hypothese nahe, dass die Mutter ein Mensch des Musters Vier ist.

Der Sohn möchte vor allem keinen Streit und keine Veränderung. Er geht davon aus, je weniger Berührungspunkte er mit seiner Mutter habe, desto weniger Konflikte kann es mit ihr geben. Charmant umgeht er im Gespräch alle potentiell konfliktträchtigen Fragen. Diese und viele andere Merkmale legen die Vermutung nahe, dass es sich bei ihm um einen Menschen des Musters Neun handelt. Dies alles sind vorläufige Annahmen, deren Sinnhaftigkeit oder Unrichtigkeit sich im weiteren Prozess herausstellen werden.
 
So wurde beispielsweise durch die enneagrammatische Betrachtung der bisher gewonnenen Eindrücke sehr schnell deutlich, dass der Junge einen langen Atem haben würde, die Bemühungen der Mutter und des Sozialarbeiters "auszusitzen". Des Weiteren wurde schlagartig klar, dass der Sozialarbeiter Gefahr lief, in eine Art Sympathie-Verstrickung mit der Mutter zu geraten: Die Enneagramm-Theorie beschreibt neun verschiedene Persönlichkeitsmuster. Sie differenziert die für jedes Muster charakteristischen mentalen, emotionalen und verhaltensspezifischen Merkmale und benennt die Möglichkeiten ihrer konstruktiven Veränderungen. Jeder Mensch trägt alle neun Muster in sich, doch eines von ihnen ist besonders ausgeprägt. Diese relativ stärkere Ausprägung kennzeichnet den betreffenden Menschen in einer ganzheitlichen Weise. Sie geht (weiterhin) davon aus, dass jedes dieser neun Muster mit einem anderen Muster eine Art gemeinsamer Schnittmenge bildet. Dies entsteht deshalb, weil es sich bei dieser Theorie nicht - wie vielfach fälschlicherweise unterstellt wird - um eine Typologie der Persönlichkeit handelt, sondern um ein vernetztes, energetisch vibrierendes System. Jedes dieser neun Muster hat eine Entwicklungs- und eine Verwicklungsrichtung, die ziemlich präzise beschrieben ist. Erstere führt - vereinfacht gesagt - zu einem Wachstum der Persönlichkeit, letztere tendiert in Richtung neurotischer Verstrickung. Eine vertiefende Darstellung dieser Zusammenhänge würde den Rahmen dieses Berichts sprengen, findet sich jedoch in der Literaturangabe (1).
 
Für unseren Fall ist es wichtig festzuhalten, dass es diese Schnittmenge zwischen dem Ennea-Muster der Mutter und dem des Sozialarbeiters gibt. Dies hat zur Folge, dass spontane Sympathiebeziehungen entstehen, die das Gefühl aufkommen lassen, einander sehr schnell und sehr gut zu verstehen; es führt zu (unbewussten) Bündnissen, in denen die professionelle Distanz Gefahr läuft, auf der Strecke zu bleiben.

Bei der Betrachtung der gesamten Landkarte des Enneagramms mit seiner Anordnung der jeweiligen Muster zeigte sich überdeutlich, dass alle bisherigen Interventionen den Jungen mit seinem Muster völlig außer Acht gelassen hatten. Die beiden Menschen des Musters Vier und Zwei waren in ihren Interaktionen so verstrickt, dass sie die völlige Passivität des Jungen gänzlich aus den Augen verloren hatten. Mit ihren Bestrebungen den Jungen zu Aktivität und Bewegung zu zwingen, haben sie das Gegenteil - nämlich vermehrte Passivität und Rückzug - erreicht.

Die Beratung zielte nun darauf ab, die Entwicklungstendenzen des jeweiligen Musters bei Mutter und Sohn zu stärken und den Sozialarbeiter achtsam für seine eigenen "Fallen" zu machen. Dieses bedeutete praktisch, dass der Sozialarbeiter sich von der Vorstellung verabschiedete, Mutter und Sohn mit Hilfe von Vereinbarungen zu einer Gemeinsamkeit zu verhelfen. Vielmehr wurde darauf hingearbeitet, für Mutter und Sohn jeweils persönliche Anliegen und Ziele zu formulieren. Für die Mutter bedeutete das, ihre
eigenen Bedürfnisse realistisch zu benennen und ihre Erreichung zu strukturieren. Außerdem übt sie sich darin, die von ihr ersehnte Zuwendung nicht über Leiden und Klagen einzufordern.

Die Entwicklung würde für den Sohn bedeuten, ihn zum autonomen Handeln anzuregen. Es gelang, mit ihm gemeinsam herauszufinden, was er sich für sein Leben vorstellt. Und es gelang ihm allein, den ersten Schritt zu tun (in diesem Fall die Bewerbung um einen Ausbildungsplatz).

Dieser Klärungsprozess dauerte nur wenige Wochen. Nach dieser Zeit kehrte der Junge in den Haushalt der Mutter zurück.

Das Überraschende für den Sozialarbeiter war, dass bereits das erste gemeinsame Gespräch mit Mutter und Sohn nach der Praxisberatung, in der diese Zusammenhänge aufgedeckt worden waren, einen völlig anderen Verlauf nahm als die bisherigen. Am Ende des Gespräches äußerten Mutter und Sohn, dass diese Zusammenkunft für sie persönlich ein wichtiges Ergebnis habe: Beide fühlten sich in ihrer Weitsicht erstmals wirklich verstanden und ernst genommen. Das Gefühl der Stagnation hatte sich aus Sicht von Mutter und Sohn aufgelöst. Möglich wurde dies offensichtlich deshalb, weil jeder für sich zu dem Verständnis gelangte, dass Gemeinsamkeit nur über den Weg gelingt, die Individualität des Anderen zu akzeptieren.

Zweites Fallbeispiel: Ein 14-jähriges Mädchen ist dem Jugendamt schon seit längerer Zeit bekannt. Zum ersten Kontakt kommt es, weil sie sich in der Schule einer Gruppe von Graffiti-Sprayern angeschlossen hat und in diesem Zusammenhang mehrfach von der Polizei aufgegriffen wurde. Nach einem Jugendgerichtsverfahren bricht der Kontakt für einige Wochen ab. Dann bekommt die Sozialarbeiterin erneut eine Mitteilung, dass das Mädchen beim S-Bahn-Surfen erwischt wurde. Sie spricht mit dem Mädchen und den Eltern. Die Eltern berichten, dass sie zunehmend besorgt um ihre Tochter sind, weil diese sich immer mit den falschen Freunden umgebe. Mit diesen zusammen gerät sie dann immer wieder in Schwierigkeiten. Zu Hause haben sie mit ihrer Tochter keine Probleme. Sie hält sich an die familiären Regeln. Das Mädchen selbst wirkt auf die Sozialarbeiterin sehr freundlich, umgänglich und pflichtbewusst. Sie berichtet, die Freunde seien ihr in der Tat sehr wichtig. Sie würde niemals eine Freundschaft verraten. Das Mädchen wird in der Folge in Freizeitaktivitäten wie Jugendzentrum und Sportverein eingebunden, damit sie einen neuen Freundeskreis aufbauen kann.

Nachdem einige Zeit Ruhe eingekehrt war, wurde der Sozialarbeiterin bekannt, dass sich das Mädchen einer Gruppe Rechtsradikaler angeschlossen hatte. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern dieser Gruppe verübte sie wiederum Straftaten. Im Gespräch mit der Sozialarbeiterin gibt sie an, sich in dieser Gruppe sicher zu fühlen. Wenn sie jetzt bedroht wird, hat sie Freunde, die ihr helfen. Aussteigen könnte sie aus dieser Gruppe sowieso nicht mehr, Rechtsradikale gehen mit Aussteigern gnadenlos um.

Die Sozialarbeiterin stellte den Fall im Rahmen der Praxisberatung vor, weil sie das Verhalten des Mädchens nicht wirklich verstehen konnte. Sie verhielt sich in der Schule und im Elternhaus vollkommen angepasst und unauffällig; geradezu gegensätzlich war ihr Verhalten im Freizeitbereich.

Auch in diesem Fall wurde die Enneagramm- Theorie zu Rate gezogen. Was beeindruckt am Verhalten des Mädchens am meisten? Auffallendes Merkmal ist ihre zwiespältige Beziehung zu Autoritäten. Während sie in der Schule und im Elternhaus in keiner Weise aufbegehrt, wie dies aufgrund ihres Alters auch entwicklungspsychologisch normal wäre, rebelliert sie im Freizeitbereich gegen Normen, Werte und Gesetze bis hin an die Grenze der Selbstgefährdung.
Ihr Grunddilemma ist das fehlende Selbstwertgefühl, auch wenn dies zunächst nicht so offensichtlich und für Beteiligte nicht so ohne weiteres nachzuvollziehen ist. Das Mädchen steckt die Erwartungen an sich selbst immer zu hoch oder zu niedrig. Im Elternhaus vermeidet sie jeden Konflikt, im Zusammensein mit Freunden riskiert sie Kopf und Kragen.

Diese und andere Wahrnehmungen führten zu der Hypothese, das das Mädchen vermutlich ein Mensch des Musters Sechs ist. Im Praxisberatungsprozess wurde deutlich, dass ihre Entwicklungschance nicht ein "harmloser" Freundeskreis ist. Entwickeln kann sich das Mädchen - vorausgesetzt unsere Annahme über ihr Ennea-Muster stimmt - nur durch einen konstruktiven Umgang mit Angst und Furcht. Sie müsste lernen, ihren Ängsten weder nachzugeben noch diese mit brachialer Gewalt zu überwinden, noch sie auf eine (vermeintliche) Bedrohung von außen zu projizieren.
 
Im Beratungsprozess wurde mit dem Mädchen ihr bisheriger Umgang mit Auseinandersetzungen und Konflikten reflektiert. Es wurde mit ihr das dahinter stehende Motiv der Angst herausgearbeitet. Benannt wurde der Wunsch nach Sicherheit, der hinter ihren gefährlichen Eskapaden stand. Es ging nicht darum, von der Angst abzulenken oder sich Autoritäten anzuschließen. Das Mädchen bekam ein Gespür dafür, dass es wichtig für sie war, die Anerkennung in sich selbst zu finden. Es erwies sich als notwendig, ihr selbst den Steuerungsprozess zu überlassen und Erfolg haben zu dürfen, soweit sie es eben zulassen konnte. Sie begriff, dass sie ein hohes Potential in sich trägt, nämlich, die Angst in Mut umzuwandeln und ihre Ambivalenz in ausgewogenere Handlungen umzu-setzen. Sie nutzte ihr ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl dafür, sich in der Schule zur Konfliktlotsin ausbilden zu lassen und trennte sich von der Rechtsradikalenszene. Hier machte sie die Erfahrung, dass ihre Fantasien bezüglich einer Bedrohung ihrer eigenen Person keine Realität wurden. Das Mädchen wird weiterhin in diesem Prozess der Entwicklung ihrer Möglichkeiten unterstützt.
Das Beeindruckende in dieser Beratung war die Reaktion des Mädchens. Als sie in diesem Gespräch die Zusammenhänge erkannte, brachte sie sofort den Mut auf, ihr Verhalten zu verändern. Dies zeigte sich, als sie während des Gespräches ein Telefonanruf einer Freundin aus der rechtsradikalen Szene erreichte. Sie sagte ihr klar und unmissverständlich, dass sie nicht mehr mitmache.

Fazit: Die Auseinandersetzung mit der Enneagramm-Theorie erwies sich insbesondere in ihrer Anwendung in der Praxis als überaus hilfreich. Trotz anfänglicher Vorbehalte überzeugten die konstruktiven Konsequenzen, die ihre Anwendung im Beratungsprozess zur Folge hatte. Besonders erstaunlich war in diesem Zusammenhang, wie schnell und konstruktiv die gewählten Interventionen wirkten, nachdem das Grundmuster geahnt oder gar verstanden war. Deutlich wurde in der Reaktion der Klienten, dass diese sich in ihrer Individualität verstanden und wertgeschätzt und in ihren Möglichkeiten gefordert und gefördert fühlten. Die enneagrammatische Sichtweise der zwischenmenschlichen Realität verhilft dem Sozialarbeiter zu einem tieferen Verständnis seiner selbst und der Reflexion seiner Verstrickungen. Die besondere Faszination liegt darin, dass der Sozialar-beiter sich selbst und das Zusammenspiel verschiedener Ennea-Muster aus einem anderen Blickwinkel erlebt. Damit kann er einen wirksamen Beitrag zur Entfaltung der vorhandenen Ressourcen sei-nes Gegenübers leisten.

Barbara Stiels, Leiterin der Abteilung Jugend und Familie beim LK Harburg Katrin Richter-Fuß, Familienberaterin in dem Projekt "Sozialpädagogische Klärung im Vorfeld von Hilfen zur Erziehung" im Sozialen Dienst der Abteilung Jugend und Familie beim Landkreis Harburg
(1) Siehe hierzu z.B. die für Einführungszwecke als sehr geeignet rezensierte Veröffentlichung SO 24 im Eigenverlag des Deutschen Vereins: Das Ennea-gramm. Idee - Dynamik - Dimensionen. Autor: Wilfried Reifarth. Frankfurt, 1997.